Warum wir oft nur sehen, was wir erwarten
Kennst du das Gefühl, in einer Situation mit deinem Hund alles falsch gemacht zu haben? Vielleicht zieht er wie verrückt an der Leine, bleibt an jeder Ecke schnüffelnd stehen und wirkt überhaupt nicht ansprechbar – und du fragst dich: Was denken bloß die anderen über mich?
Du bist sicher, dass du komisch angeschaut wirst, vielleicht sogar verurteilt. Der Bogen, den jemand um euch macht, ist ein Beweis für Ablehnung. Du gehst mit einem schlechten Gefühl nach Hause, grübelst lange darüber nach und findest immer mehr Hinweise, die dir bestätigen: „Ich habe meinen Hund nicht im Griff – das sehen alle.“
Was da passiert, ist ein typisches Beispiel für den Bestätigungsfehler – ein psychologisches Phänomen, das unser Denken stark beeinflusst. Dabei konzentrieren wir uns unbewusst nur auf die Informationen, die zu unserer bestehenden Überzeugung passen. Alles, was dem widerspricht, blenden wir einfach aus. Oder wir bewerten es als weniger relevant.
Dein Gehirn sucht regelrecht nach diesen Beweisen – und wird sie finden. Doch die hundert anderen Beobachtungen, wie dein Hund etwas gut gemacht hat, wie er sich kurz zurückgenommen hat, wie euch jemand freundlich angelächelt hat oder einfach gar nicht auf euch reagiert hat, die fallen dabei unter den Tisch.
🎯 Besonders betroffen: Halter von „zügig unterwegs“-Hunden
Oft sind es gar nicht die Halter von „pöbelnden“ Hunden, die am stärksten in diesem Gedankenstrudel gefangen sind, sondern jene, deren Hunde scheinbar harmlos sind, aber augenscheinlich ständig die Führung übernehmen:
🔸 Der Hund zieht unentwegt nach vorne.
🔸 Er schnüffelt, wo und wie lange er will.
🔸 Er lässt sich kaum lenken und rennt dir kreuz und quer vor die Füße.
🔸 Eine Orientierung am Menschen scheint gar nicht stattzufinden.
Was in diesen Momenten im Menschen passiert, bleibt oft verborgen – nach außen sieht es „nicht so schlimm“ aus. Aber innerlich brodelt es:
„Ich bin Luft für meinen Hund.“ oder „Alle sehen, dass ich versage.“ oder „Warum hört er nicht?“ oder „Was denken die anderen?“
Genau hier greift der Bestätigungsfehler wie ein Verstärker: Der Mensch beginnt, nur noch die Hinweise wahrzunehmen, die seine Unsicherheit bestätigen. Jeder Blick wird als Tadel gedeutet. Jede Begegnung mit einem scheinbar „besser funktionierenden“ Mensch-Hund-Team wird zum Spiegel für das eigene (vermeintliche) Versagen.
Und während all das im Kopf passiert, wird der eigene Hund noch aktiver. Warum?
🌀 Vom Gedankenkarussell zum Opportunitätsreflex
Dein Hund spürt, dass du innerlich unruhig wirst und ebenfalls an der Leine ziehst – vermeintlich, um ihn zu regulieren, zu steuern, auszubremsen oder zu beherrschen. Der Opportunitätsreflex, der nun folgt, ist eine schnelle und unwillkürliche Reaktion, bei der der Hund reflexartig in die entgegengesetzte Richtung zu einem Druck oder Zug zieht. Du wirst dann wieder oder noch stärker ziehen und er auch. Dein Hund reagiert auf den Reiz – du auch. Ihr landet wie in einem Tauziehen – gewinnen wird das aber niemand.

🌀 Was macht das mit uns?
Diese Kombination aus selektiver Wahrnehmung und dem Opportunitätsreflex führt zu einem Kreislauf aus Unsicherheit, Selbstkritik und Stress, und genau das überträgt sich auf deinen Hund. Dein Blick wird enger, dein Atem flacher, dein Körper angespannter. Du sendest (unbewusst) all die Signale aus, die deinem Hund sagen: „Irgendetwas stimmt nicht.“
Und so bestätigen sich eure gegenseitigen Sorgen – obwohl sie auf Annahmen basieren, nicht auf Realität. Das ist ein richtig mies nach unten ziehender Strudel.
🐾 Was hilft?
🔸 Reflektiere: Werde dir bewusst, was du gerade glaubst zu sehen, und frage dich, ob es wirklich so ist. Gibt es Hinweise, dass andere Menschen dich gar nicht bewerten?
🔸 Gegengewichte setzen: Halte dir nach jedem Spaziergang drei Dinge bewusst vor Augen, die gut gelaufen sind – auch, wenn sie klein erscheinen.
🔸 Verantwortung übernehmen: Dein Hund meint es nicht böse. Und du bist nicht verantwortlich für jedes Ziehen an der Leine – sondern nur dafür, wie du damit umgehst.
🔸 Innere Klarheit statt äußeren Erwartungen: Was ist dir wirklich wichtig im Umgang mit deinem Hund – und was davon kommt nur von außen?
🧭 Fazit:
Der Bestätigungsfehler ist menschlich und gerade bei scheinbar „harmlosen Problemen“ wie Leineziehen oder Dauer-Schnüffeln besonders heimtückisch. Er führt dazu, dass du dich selbst entwertest und aus dem Gleichgewicht gerätst – und deine körperliche Reaktion darauf spürt dein Hund.
Wenn du beginnst, deine Aufmerksamkeit zu schulen, dich von äußeren Erwartungen zu lösen und deine eigenen Maßstäbe wiederzufinden, verändert sich nicht nur dein Blick auf deinen Hund, sondern auch dein Gefühl für dich selbst.
Du musst nicht perfekt sein! Dein Hund auch nicht. Ihr dürft lernen, wachsen und Fehler machen. Und du darfst dich aus dem Strudel der Selbstverurteilung befreien – Schritt für Schritt. Denn oft ist es gar nicht „die Gesellschaft“, die von dir etwas erwartet – sondern dein eigener innerer Kritiker, der am lautesten redet.
Lass uns gemeinsam einen neuen Blick einüben. Einen, der wohlwollender ist. Offener. Zugewandter. Und der Raum schafft für das, was wirklich da ist.